Realgymnasium Rämibühl Zürich

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Erfolg für Emilia Haake (4b) und Hannah Strüver (2e) beim Storytelling-Schweiz-Wettbewerb

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Storytelling Schweiz, eine Initiative von Autillus, dem Verband Kinder- und Jugendbuchschaffende Schweiz, rief Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren dazu auf, eigene Geschichten zu erzählen. Mit ihren Kurzgeschichten „Afghanistan“ und „Der Mann und der Wald“ konnten Emilia Haake (4b) und Hannah Strüver (2e) die Jury überzeugen. Emilia belegte den 1. Rang, Hannah den 3. Rang in der jeweiligen Alterskategorie. Herzlichen Glückwunsch!

Dabei waren die Anforderungen hoch: „Beim Storytelling geht es nicht unbedingt um das Schreiben, obwohl auch das dazugehören kann. Es ist auch kein Poetry Slam oder Schauspiel. Storytelling ist die Fähigkeit, die eigene innere Welt und die eigenen Gedanken so klar wie möglich zu vermitteln: mit gut gewählten Worten und einem Sinn für Dramaturgie. Es ist die Erkenntnis, dass durch Sprache viele Dinge - auch komplizierte - Gestalt annehmen und nachvollziehbar werden können. Durch Storytelling kann man die Welt und sich selbst verstehen und sich verständigen.“ (siehe https://www.storytelling-schweiz.ch)

Emilia und Hannah können sich über ein Preisgeld freuen, zudem wurden sie zu einem kleinen Apéro eingeladen. Bei dieser Gelegenheit werden die Geschichten der Gewinner*innen professionell gefilmt.

Text: Peggy Jarling

Geschichte von Emilia Haake: „Afghanistan“ 

Die Erinnerungen sind mein Schleier, den ich nie abwerfen kann.
Ich fühlte nichts. Oder fühlte ich zu viel? Es war ein Augenblick. Ein Augenblick und mein Leben hatte sich verändert. Schüsse ertönten hinter mir. Ich versuchte zu rennen, doch ich wusste: Von so etwas wegzulaufen, war, als würde ich versuchen, vor meinem eigenen Schatten zu fliehen.

Auf Zehenspitzen laufe ich durch das Kinderzimmer in Richtung Türe. Ich halte inne und lausche der Stille, wage es kaum zu atmen. Tick, Tick, Tick. Die Wanduhr leuchtet alle paar Sekunden in einem grünen Licht auf. Zehn nach neun. Vor einer Stunde hätten sie schon im Bett sein sollen. Doch anstatt zu schlafen, gab es viel Geschrei, viele Tränen. Die Gute-Nacht-Geschichte sollte von Mama und Papa vorgelesen werden – nicht von ihrer Babysitterin. Verständlich. Was ich alles dafür geben würde, noch einmal die verstellte Stimme meines Vaters zu hören, während er mir vorliest. Für einen kurzen Moment lasse ich den Blick durch das Kinderzimmer schweifen. Doppelt so gross wie unser altes Wohnzimmer. Feine Stuckaturen an der Decke. Wie im Traum. Mein Blick fällt auf die Kinder. Zwei friedliche Gesichter. Schmerz - den kennen sie nicht. Ich taste nach dem Lichtschalter. Mit einem leisen Knips verschwindet das schöne Bild im Dunkeln.

Im Wohnzimmer lasse ich mich mit einem schweren Seufzer auf den grossen Sessel sinken. Müdigkeit überströmt mich und übernimmt das Gewicht meiner Lider. Das spärliche Licht der Duftkerzen verleiht der ganzen Situation etwas Surreales. So als wäre etwas falsch. Oder jemand. Ich. Ich bin falsch daran. Ich werfe den Blick auf meinen Computer. Das Kapitel der Anatomie leuchtet in schwachem Licht. Mein Handy vibriert auf dem Marmortisch vor mir. Nein, ich muss mich konzentrieren. Keine Ablenkung jetzt.

Erneutes Summen. Ein resigniertes Seufzen entweicht mir, als ich über den Tisch nach meinem Telefon lange. Mit dem Wissen, es zu bereuen, schaue ich auf den Bildschirm: Fünf verpasste Anrufe meiner Schwester und acht Sprachnachrichten. Wie die Leuchtreklamen an nächtlichen Strassen reihen sie sich auf meinem Homebildschirm. „Mina! Es geht nicht mehr. Sie sind überall.“ Ich schliesse die Augen. Ich will das nicht hören. Doch egal, was ich auch tun würde, es ist zu spät. Es überkommt mich wie eine Welle. Die Vergangenheit, die ich versucht hatte, zu vergessen. Und nun war sie da, als wäre sie nie weg gewesen. Hier in diesem Wohnzimmer. Der Zeiger der Wanduhr bewegt sich. 9:30 Uhr. Tick, Tick, Tick.

„…Ich weiss nicht mehr, was ich tun soll. Die Taliban haben … ich bin alleine Mina.“ Die Sprachnachricht wird von einem Schluchzen unterbrochen. Eine Träne findet ihren Weg, meine Wange hinunter und endet in meinem Mundwinkel. Mein Herz rast so schnell, ich habe Angst, man könnte es hören. Ich wähle ihre Nummer. Es springt direkt zur Mailbox. Ich versuche es nochmal und nochmal und nochmal. Ich lasse das Handy langsam sinken. Mit glasigem Blick starre ich ins Kaminfeuer. Ich höre sie wieder. Die Schreie. Feuer, überall. Der schwarze Stoff meiner Burka verschleiert meine Sicht. Um mich herum laufen Leute wie Schatten an mir vorbei. Meine Füsse scheinen nicht mehr den flauschigen Wollteppich zu fühlen. Sie werden durchstochen von Kies. Kies, auf dem ich renne. Wieder. Ich renne weg von den Leuten, den Taliban, die mir alles nahmen. Meine Familie, meine Freunde, meine Zukunft. In diesem Moment realisiere ich, dass Wegrennen meine Angst nur aus dem Sichtfeld hielt, aber nicht verschwinden liess.

Geschichte von Hannah Strüver: „Der Mann und der Wald“

Es war ein strahlender Morgen, die Sonne lachte vom tiefblauen Himmel herab, die Vögel zwitscherten aufgeregt in den Baumkronen, der Wind strich durch die Blätter. Aber Stefan hatte keinen Blick dafür, gedankenverloren lief er durch den Burghölzli-Wald. Er hielt kurz inne und blickte nach oben, betrachtete das Rauschen der Blätter, hörte den Vögeln zu, während sein Gesicht einen verträumten Ausdruck annahm. Oh, wie er diesen Wald liebte…

Doch kurze Zeit später verdunkelte sich sein lächelndes Gesicht wieder, wurde ernst, ja, sogar traurig und etwas wehmütig, und seine Beine trugen ihn weiter. Er hatte an seine Frau gedacht, eine herzliche, gutmütige Frau, die ihn immer zum Lachen gebracht hatte. Früher kamen die beiden oft zusammen her, doch seit dem Vorfall war nichts mehr wie früher. Er schüttelte seine Erinnerungen an sie ab. So war es die ganze Zeit. Seit einem Jahr verdrängte er die Erinnerung an sie. An sie, und seinen kleinen Sohn Max, der erst ein Jahr alt gewesen war, als es passierte.

Stefan lief weiter, er passierte die Waldgrenze, lief über die Strasse, die zum Unispital führte, und blieb an einem kleinen Kreuz stehen. Genau hier war es passiert, an einem lauen Sommerabend, sie waren am See gewesen, hatten dem Rauschen der Wellen gelauscht, der Sonne zugeschaut, wie sie langsam versank, und waren schliesslich mit dem Auto wieder nach Hause gefahren. „Schatz, lass uns nachher noch in den Wald gehen!“

Er schüttelte die Erinnerung ab, beschleunigte seine Schritte. Bald würde er die Arbeit erreichen. Wieso hatte er bloss die Abkürzung durch den Wald genommen? Nun würde er sich wieder nicht konzentrieren können. Der Himmel wurde dunkel, die Vögel verstummten; die Nacht brach herein. Stefan schloss die Tür auf, holte sich ein Glas Wasser und setzte sich an seinen Schreibtisch. Er blickte auf das Familienporträt an der Wand. Sollte er es abnehmen? Man könne die Vergangenheit doch sowieso nicht ändern, dachte er sich, wieso also weiter trauern. Und doch wanderten seine Gedanken immer wieder zurück zu jenem schicksalhaften Tag. Er wollte das Erlebte vergessen, es in eine Schublade ganz hinten in seinem Kopf verstauen, und es nie wieder hervorholen. „Schatz, lass uns nachher noch in den Wald gehen!“ Tränen liefen über seine Wangen.

Stefan verliess das Haus und lief ziellos durch die Strassen. Auf einmal fand er sich im am Waldrand wieder. Er hörte die Grillen zirpen, die Blätter im sanften Wind rascheln, fühlte das weiche Moos unter seinen Füssen. Er lief einfach weiter, bis er irgendwann auf einer Lichtung stand, die durch den Mondschein erleuchtet war. Sie kam ihm bekannt vor, eilig wühlte er in seinen Erinnerungen. Er setzte sich auf den Boden, auf das vom Tau feuchte Gras und wartete. Als die Sonne aufging, hatte er das Gefühl, die Welt mit anderen Augen zu sehen. „Schatz, lass uns nachher noch in den Wald gehen!“

Er richtete sich auf und folgte der inneren Stimme. Plötzlich stand er vor einem Baum. Er strich mit den Fingern über das raue Holz und nahm eine Einritzung darin wahr. Sie musste von seiner Frau stammen. Dort standen die Worte: «Ich werde immer bei dir sein, werde dich immer lieben». Die Welt verschwamm vor seinen Augen. Stefan legte sich wieder auf den Boden der Lichtung, beobachtete die vorbeiziehenden Wolken und die rauschenden Blätter. Und auf einmal wurde ihm klar: Er hatte Frieden geschlossen.