Realgymnasium Rämibühl Zürich

Poetry1

Poetry-Slam: "Disziplin ist alles. Oder?"

Poetry1

Kurz vor den Ferien veranstalteten die Schülerinnen und Schüler der 3b und 3e einen «Poetry-Slam», einen literarischen Wettbewerb, bei dem selbstverfasste Texte innerhalb einer bestimmten Zeit vorgetragen werden. Ausgangspunkt bildete die Unterrichtseinheit zum Thema «wer bin ich/was prägt mich». Herausgekommen sind nicht nur inhaltlich und sprachlich anspruchsvolle Texte, sondern auch sehr unterhaltsame Darbietungen:

Disziplin ist alles. Oder?
Marisa Caluori/Denis Skenderi (Klasse 3b)

Kontrolle braucht es. Anstand muss man haben. Ehrgeiz soll man aufbringen. Regeln muss man befolgen. Aufwand ist natürlich.

Für Erfolg braucht es:
Ehrgeiz
Enthusiasmus
Liebe
NEIN, ES BRAUCHT DISZIPLIN.

Eiserne, straffe, strenge Disziplin!
Diese Disziplin muss gehalten, gewährt und gewürdigt werden!

Was ist mit Freude? Man geht den Weg des Erfolges doch, um letztendlich Freude zu finden.

Ach, stell dich nicht so an, reiss dich zusammen, das Leben ist nun mal eine ewige Prüfung und kein Ponyhof. Disziplin ist alles!

Ja, ich weiss, ich weiss: “Disziplin ist alles!”

Langeweile. Langweilig. Ich, du, er, sie, es, man langweilt sich. Ich sterbe gleich.
“Marisa?”
“Ja?”
“Bist du heute etwas müde, oder was ist los?”

“Ja, etwas.”
Vielleicht liegt es ja auch am Unterricht. Die andern haben schon frei. Ich will auch, will gehen, will frei haben. "Die Tür lächelt.” Wieder mal. Aber ich kann nicht gehen, wenn ich gehe, lerne ich nichts und wenn ich nichts lerne, kriege ich keinen Abschluss und wenn ich keinen Abschluss kriege, dann kriege ich keinen Job.
“Marisa? Konzentrierst du dich jetzt bitte?”
“Aus mir muss etwas werden.”


Ein Ziel in Sicht, doch aus Ziel wird Pflicht.
Wo bleibt der Spass, aus Spass wird Hass.
War mal interessiert, aus interessiert wird krepiert.

Streng, strenger, am strengsten, ich sterbe in dieser Halle.
“Denis?”
“Ja?”
“Berühr die letzte Linie, los!”
Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, wieso bin ich überhaupt hier?
“Alle wieder von vorne, Denis hat es nicht geschafft, und los!”
Meine Lunge, ich kann nicht mehr atmen, was ist atmen? Ich muss kotzen. Jetzt. Ich renne durch die Hallentür auf die Toilette.
Wie wird wohl der Trainer reagieren, wenn ich zurückkomme. Fragt er mich wie es mir geht, oder stellt er mich vor allen bloss und schickt die ganze Mannschaft inklusive mich nochmal auf die Linie?

Wer die Disziplin nicht ehrt, ist die Pause nicht wert.

Ich muss fliehn. Fliehn vor der Disziplin.
Bin kaputt, besteh nur noch aus Schutt.
Hab genug, wie oft mich mein Leben schon betrug.
Mag nicht mehr. Gar nicht mehr. Kein mehr
.

“Marisa! Du hast dein Zimmer schon wieder unaufgeräumt hinterlassen. Ich bin doch nicht deine Putzfrau!”
Nicht jetzt. Bitte nicht jetzt. Jetzt will ich nicht.
“Marisa! Räum es doch bitte jetzt auf.”
“Es ist doch aufgeräumt!”
“Überhaupt nicht, los jetzt!”
“Mir gefällts, es ist doch mein Zimmer.”
“Aber ich muss auch hineinsehen und mir gefällts nicht.”
Dann schau doch weg. Lass mich doch in Ruhe. Sei doch nicht immer so genau.
Ich mag jetzt nicht, ich bin müde, bin faul.
“Marisa!

Wie schnell „nicht jetzt“ zu „niemals“ wird.

Pass, Flanke, Tor, verloren. Wie meine Konsole.

“Denis!”
“Ja?”
“Wieso schreist du die ganze Zeit so herum, willst du dich von deiner Konsole verabschieden?”
“DIESES DRECKSSPIEL, WIESO SPIELE ICH ES ÜBERHAUPT NOCH!? WIESO STÖRST DU MICH ÜBERHAUPT, MAMA, SIEHST DU NICHT, DASS ICH BESCHÄFTIGT BIN!??”
“Denis!”
“Mama, es tut mir ja leid.”
“Das hättest du dir vorher überlegen müssen.”
“Aber dieses Spiel!”
“Schwuups” und so verschwand meine Mutter mit meiner Konsole.

Konzentriere dich, sage nichts Falsches, du bekommt sie nur durch harte disziplinarische Ergebenheit zurück. Und fürs nächste Mal solltest du auf die Art achten, wie du auf dieses Spiel reagierst. Deine Eltern haben dich nicht zu einem rumschreienden, spielsüchtigen Psychopathen erzogen.
“Lepa rjec gvosdana vrata otvara.”


Blink. Blink. Blink.
Das Handy blinkt, jemand hat mir eine Nachricht geschrieben. Aber nein, ich muss jetzt lernen. Aber vielleicht ist es ja etwas wegen der Schule, etwas Wichtiges? Nein, ich muss mich jetzt konzentrieren. Also gut, “finde x mithilfe der Mitternachtsformel und-” Der Himmel, oh mein Gott, sieht der schön aus! Die Wolken leuchten pink, von der untergehenden Sonne angestrahlt und ziehen über den Himmel. Da muss ich gleich ein Foto machen. Sekunde, jemand hat mich in seiner Story erwähnt, was ist es wohl? Scheisse, ich wollte doch lernen. Egal, ich will jetzt wissen, wo ich markiert wurde. Oh.
Ein Beitrag über Selbstdisziplin.

Zu Recht bist du da markiert, du weisst das.
Hallo, ist hier jemand? Ich? Allein? Du? Wer bist du?
Ich bin du, du bist ich, wir sind eins und übrigens musst du lernen. Aus dir muss etwas werden.
“Aus uns muss etwas werden.” Es muss, es muss einfach, es muss.

Hier Disziplin, da Disziplin, was einst lustig schien, ist nun dahin.
Gibt es keinen anderen Weg für Erfolg, einen, den ich nur zu gerne befolg?

Für Erfolg braucht es:
Disziplin.
Sagt man.

BING
Sophie Vanderhaegen/Francesca Mafrici (Klasse 3e)

S: Hey!
F: (ignoriert)
S: H-A-L-L-O!!??
F: (ignoriert)
S: Ok ist was? Ähm, geht es dir gut? Ist alles in Ordnung? Brauchst du Hilfe?
F: ------Bing------ (sackt zusammen)
Wer bin ich? Was will ich? Was mach ich? Was kann ich?
Ich bin nichts! Ich will nichts! Ich mach nichts! Ich kann nichts!
S: STOP!!! Durchatmen. - Was soll das?
F: Was soll was?
S: Was soll das? Das, was du sagst, dass du dich nicht magst, dass du es überhaupt wagst so zu reden, über dich, über einen Menschen, der so viel wert ist.
F: Was wert!? Wir sind alle nichts wert. Menschsein ist nichts Besonderes. Alles ist egal. Alles fängt nur an, um aufzuhören. In demselben Moment, in dem man geboren wird, fängt man an zu sterben. Geburt. Leben. Tod.
S: Boah, was ist denn mit dir los? Schlechter Tag, oder was?
F: Ich dreh mich, ich dreh mich, ich dreh mich im Kreis, immer weiter und weiter und weiter, ohne aufzuhören.
S. Dann hör doch endlich auf dich zu drehen. Ist gar nicht so schwer.
F: Aber diese Stimme, sie sagt mir, dass ich nichts wert bin, dass ich nichts kann.
S: Also meine Stimme sagt mir, dass ich Hunger habe.
F: Es gibt kein Licht. Alles bricht. Ich seh’ nur dunkel. Dunkel. Schwarz.
Tod. Aber ich kann nichts dagegen tun. Ich kann nicht weg. Nicht weg davon, denn jenseits davon ist nichts, rein gar nichts. Nichts als gähnende Leere.
S: Also mein Magen braucht Nahrung. Aber jetzt zu dir: Wieso bist du so «depri», was ist mit dir los? Komm, Kopf hoch, Rücken gerade, denk an die guten Dinge im Leben!
F: Es gibt nichts Gutes im Leben. Ich bin nicht gut, du bist nicht gut, alle sind nicht gut.
S: Woah, Woah, Woah. Du musst mich jetzt nicht damit reinziehen.
F: Es ist doch egal, wer mit reingezogen wird. Schlussendlich bedeutet es sowieso nichts.
S: Boah, ich bin echt nicht gut im Aufmuntern, aber egal, ich probier’s: Stell dir vor, Samstagmorgen, Sonne scheint, blauer Himmel, schön warm, perfekt, um eine gemütliche Runde im See zu schwimmen.
F: Es ist Winter. Es ist viel zu kalt, um schwimmen zu gehen. Du kannst es nicht sehen. Nicht sehen, wie’s mir geht. Wie ich mich fühl. Nicht sehen, wer ich bin, hier drin!
Ein Nichts! Wenig. Nichts. Tot.
S: Gutes Argument… In der Tat kann ich nicht in dich hineinsehen. Das wäre ja auch komisch. Aber trotzdem weiss ich, du bist wertvoll, du bist toll, du bist du und das ist gut so.
F: Wieso soll ich ich sein? Ich will nicht ich sein! Ich will niemand sein. Etwas sein. Wenig sein. Nichts sein.
S: Was sollen eigentlich diese ganzen Steigerungen? Denkst du, das macht deine Geschichte dramatischer?
F: Das Leben ist auch nichts. Alles läuft eh immer gleich. Man wird geboren, man krabbelt. Man krabbelt, man läuft. Man läuft, man geht zur Schule. Man geht zur Schule, man arbeitet. Man arbeitet, man langweilt sich. Man langweilt sich, man stirbt. Geburt, Arbeit…
S: …. Tod??? Ist es das, was du sagen wolltest? Ich glaube, ich hab’ es langsam kapiert.
F: Gar nichts hast du kapiert. Und wenn du glaubst du wüsstest es oder könntest etwas, ha, es gibt immer noch jemanden, der es besser kann als du.
S: Weisst du was? Bist du schlecht gelaunt? Ok, aber lass mich da raus! Willst du «depri» sein? Dann mach das allein. Geht es dir nicht gut? Dann begrab dich in deiner Wut. Ist dir ne’ Laus über die Leber gelaufen, dann geh dich besaufen!
Ähm, oh Gott, du merkst. Mir gehen langsam die Reime aus. Aber du verstehst schon, das Leben ist doch einfach nur toll!
F: schlecht!
S: Hast du denn gar keine guten Erinnerungen?
F: Nein!
S: Willst du dich überhaupt an etwas erinnern?
F: Nein!
S: Gar nichts Positives?
F: Nein!
S: Freunde?
F: Nein!
S: Familie?
F: Nein! Ich habe nichts.
S: Du hast mich!!!
F: Irgendwann wirst du auch von mir gehen. Du hast keine Ahnung, wie’s mir geht. Keine Ahnung, was passiert ist. Keine Ahnung, wie dunkel und schwarz mein Leben ist. Schwarz. Rabenschwarz. Kohlschwarz. Pechschwarz. Tiefschwarz.
S: Gelb. Grün. Orange. Pink. Lila. Rot und Blau. Siehst du wie bunt das Leben ist. Voller Farben. Kunterbunt. So bunt wie der Sommer
F: Aber der Sommer geht vorbei. Dann kommt der Winter und die ganzen Farben des Sommers verblassen und verschwinden zu einem einzigen Grau. Das ist der Lauf der Dinge, alles geht zu Ende, alles geht kaputt.
S: Aber Kaputtes kann man reparieren.
F: Zersplittertes aber nicht. Jeder Tag ist das, was mich zerbricht. Das Ende naht, ich höre keinen Rat, ein fester Draht umringt mich, vom Schatten umhüllt bin ich. -
S: Du hast es schon so oft geschafft, dich immer wieder aufgerafft. Du kriegst das hin. Du hast `nen Sinn. `Nen Sinn im Leben. Schau nach vorn. Sei mal glücklich. Denn Glück kann vieles zeigen: Liebe, Spass, Freundlichkeit. Lachen, Spielen, Heiterkeit.
F: Die Liebe wird zu Hass. Spass zu Trauer. Freundlichkeit zu Zorn. Lachen wird zu Weinen. Spielen zu Langeweile. Und Heiterkeit ist eh vorbei.
S: Ach, komm schon. Das Leben ist doch gar nicht so schlimm, du musst das Positive sehen!
-----Bing----- (trauriger Gesichtsausdruck)
-
F: Aha, ist das Leben doch nicht so schön? Ich hab’s doch von Anfang an gesagt. Alles läuft doch immer aufs Gleiche hinaus. Wir tun alle so, als ob alles gut sei, als ob es keine Sorgen gäbe, als ob wir alle wichtig wären, also ob es einen Sinn gäbe. Doch den gibt es gar nicht. Das Leben…
S: …ist nichts wert! Wir alle bedeuten…
F: …nichts! Wie werden alle…
S: …sterben!


Geburt. Leben. Tod.

Wir Menschen sind schon recht…

F: unsicher
S: zweifelnd
F: seltsam
S: hoffnungslos
F: passiv
S: eigenartig
F: fremd
S: verkehrt


Dass wir uns von einer Nachricht runterziehen lassen, in ein Loch so tief doch so naiv, das Gefühl alles läuft schief.

Wir Menschen sind doch recht bedauernswert…
Oder nicht?


P. Jarling